Zöliakie
Menschen mit Zöliakie leiden unter einer dauerhaften Überempfindlichkeit gegenüber dem in fast
allen heimischen Getreidesorten enthaltenen Gluten („Klebereiweiß“). Die Aufnahme glutenhaltiger
Nahrungsmittel führt bei diesen Menschen zu einer Entzündung der Dünndarmschleimhaut. Dadurch
können bestimmte Nährstoffe nur mehr unzureichend aus dem Darm aufgenommen werden.
Verdauungsstörungen, Gewichtsverlust und Mangelerscheinungen können die Folge sein, aber auch
unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Bei Kindern
verzögert sich nicht selten die körperliche Entwicklung. Umso wichtiger ist es, dass die Zöliakie
frühzeitig behandelt wird. Allerdings wird die Erkrankung in vielen Fällen nicht oder erst nach Jahren
erkannt. Eine ursächliche Therapie der Zöliakie gibt es bislang noch nicht. Die einzige Behandlungsmöglichkeit
besteht darin, glutenhaltige Nahrungsmittel zu meiden. Unter einer strikt glutenfreien Diät erholt
sich die geschädigte Dünndarmschleimhaut wieder und auch die meisten Beschwerden gehen
zurück. Das Wort „Zöliakie“ kommt aus dem Griechischen (koilia = Bauch). Für die Erkrankung wurden noch
zahlreiche andere Bezeichnungen verwendet, etwa Sprue, nicht-tropische Sprue, einheimische
Sprue, Heubner-Herter-Erkrankung, hereditäre Glutenintoleranz, Glutenunverträglichkeit oder
Glutenallergie. Diese Bezeichnungen sollten nach einer 2012 getroffenen Übereinkunft aber nicht
mehr verwendet werden. In der medizinischen Fachsprache wird die Erkrankung jedoch noch häufig
als glutensensitive, gluteninduzierte oder glutenbedingte Enteropathie bezeichnet.
Wer ist betroffen?
Lange wurde davon ausgegangen, dass in Mitteleuropa etwa eine von 1.000 Personen an Zöliakie
leidet. Neuere Untersuchungen machen jedoch eine Häufigkeit von 1:300 bis 1:100 wahrscheinlich.
Allerdings: In 80–90% der Fälle sind die Beschwerden so untypisch oder so schwach ausgeprägt, dass
die Erkrankung nicht erkannt oder nicht bemerkt wird. Es gibt also deutlich mehr Menschen mit
Zöliakie, bei denen die Diagnose niemals gestellt wird, als solche, bei denen die Erkrankung bekannt
ist. Prinzipiell kann die Zöliakie in jedem Alter in Erscheinung treten. Was die Diagnosestellung der
Erkrankung anbelangt, lassen sich allerdings zwei Häufigkeitsgipfel ausmachen: einer in den ersten
Lebensjahren und ein weiterer zwischen dem 25. und dem 40. Lebensjahr. Frauen sind etwa doppelt
so oft betroffen wie Männer. Verwandte von Menschen mit Zöliakie haben ein deutlich erhöhtes
Erkrankungsrisiko. Ein erhöhtes Zöliakie-Risiko haben auch Personen mit bestimmten Erkrankungen –
etwa Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ 1 oder Chromosomenveränderungen wie Trisomie
21 (Down-Syndrom).
Welche Ursachen hat die Erkrankung?
Gluten ist ein Eiweißgemisch, das in Getreidesorten von Weizen, Roggen oder Gerste bzw. in anderen
Weizengattungen oder Verwandten des Weizens wie Emmer, Einkorn, Dinkel, Grünkern, Kamut etc.
enthalten ist. Wird Weizenmehl mit Wasser gemischt und geknetet, bildet sich das elastische
Klebereiweiß, das den Teig formbar macht. Unverträglich sind eigentlich ganz bestimmte Getreideeiweiße, sogenannte Prolamine (Gliadin im
Weizen, Secalin im Roggen, Hordein in der Gerste und teilweise Avenin im Hafer).
Für den menschlichen Körper an und für sich ungefährlich, führt Gluten bei entsprechend
veranlagten Menschen zu einer komplexen Reaktion der Dünndarmschleimhaut und des
Immunsystems. Nach derzeitigem Wissensstand ist die Zöliakie eine Mischform aus Allergie und
Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem betrachtet Gluten fälschlicher als etwas Feindliches und
bekämpft es: Abwehrzellen bilden sogenannte Antikörper, die sich einerseits gegen Gluten,
andererseits gegen körpereigene Strukturen (die sogenannte Tissue-Transglutaminase) richten. Das
Resultat ist eine Entzündung und in weiterer Folge eine Schädigung der Dünndarmschleimhaut.
Eine erbliche Veranlagung spielt bei der Krankheitsentstehung offenbar eine wichtige Rolle. Diese
dürfte auch dafür verantwortlich sein, dass die Zöliakie gehäuft mit anderen
Autoimmunerkrankungen einhergeht. Gewisse genetische Merkmale (HLA-Loci) finden sich bei fast
allen Menschen mit Zöliakie. Allerdings tragen viele Menschen diese genetischen Merkmale in sich,
ohne jemals an einer Zöliakie zu erkranken. Neben der erblichen Veranlagung werden daher
zahlreiche andere auslösende Faktoren für die Erkrankung diskutiert, etwa Infektionen. Letztlich ist
aber nach wie vor unklar, warum ein Mensch erkrankt und andere nicht.
Wie macht sich die Erkrankung bemerkbar?
Die charakteristische Veränderung bei der Zöliakie wird als Zottenatrophie bezeichnet.
Dünndarmzotten sind kleine, fingerförmige Auswerfungen der Schleimhaut. Die unzähligen Zotten
vergrößern die Oberfläche des Dünndarms um ein Vielfaches, dadurch steht ihm eine größere Fläche
zur Aufnahme von Nährstoffen zur Verfügung. Insgesamt hat der Dünndarm eines gesunden
Erwachsenen eine Oberfläche von mehr als 400–500 Quadratmetern. Bei der Zöliakie werden die
Dünndarmzotten aufgrund der Entzündung allerdings nach und nach kürzer sowie plumper und
bilden sich schließlich zurück – sie atrophieren. In der Folge kann der Dünndarm nicht mehr
ausreichend Nährstoffe aufnehmen. Das Beschwerdebild hängt wesentlich davon ab, ob die Erkrankung bereits in jungen Jahren ausbricht
oder erst im Erwachsenenalter. Obwohl die Glutenunverträglichkeit in erster Linie eine Erkrankung
des Dünndarms ist, können Darmbeschwerden im Hintergrund stehen oder gänzlich fehlen. Viele
Symptome der Erkrankung können durch Mangelerscheinungen erklärt werden. Denn der
geschädigte Dünndarm kann insbesondere Kohlenhydrate und Fette sowie bestimmte Mineralstoffe
(Kalzium, Eisen) und Vitamine (A, B12, D, E, K) nicht entsprechend aufnehmen. Zudem kann es zum
Verlust von Wasser, Eiweiß und Elektrolyten über den Darm kommen.
Zöliakie bei Kindern
Bei Kindern beginnen die Beschwerden meist in den ersten Monaten nach dem Zu füttern von
glutenhaltigen Nahrungsmitteln wie Vollkornbrei oder Weizengrieß. Typisch für die Zöliakie ist ein
aufgetriebener Bauch. Andere charakteristische Symptome sind Appetitlosigkeit, Erbrechen und
wechselhafte Durchfälle mit massigen, fettig glänzenden und übel riechenden Stühlen. Allerdings
schließt ein normaler Stuhlgang oder gar eine Verstopfung eine Zöliakie nicht aus. Manchmal deuten
lediglich wiederkehrende Bauchschmerzen auf die Erkrankung hin. Relativ häufig beobachten Eltern,
dass betroffene Kinder weinerlich und missmutig sind und keine Lust am Spielen haben.
Bedingt durch die unzureichende Nährstoffaufnahme kann es im Verlauf der Erkrankung zu Gedeih
Störungen kommen. Das heißt, die betroffenen Kinder nehmen nicht oder nicht ausreichend zu oder
sogar ab. In weiterer Folge kann sich auch das Wachstum verzögern. Ebenso kann die Erkrankung zu
einer Verlangsamung der geistigen Entwicklung führen. Betroffene Kinder fallen typischerweise
durch dünne Arme und Beine, einen aufgeblähten Bauch und eine faltige, blasse Haut auf. Besonders
an Gesäß und Oberschenkeln ist der Verlust des Unterhautfettgewebes oft gut erkennbar.
Die Zöliakie ist die häufigste Ursache für eine kindliche Gedeih Störung. Tritt die Zöliakie bei älteren
Kindern auf, stehen meist Mangelerscheinungen und Verhaltensauffälligkeiten im Vordergrund.
Allerdings gibt es bei der Zöliakie sehr oft untypische Verläufe, bei denen sich die Erkrankung nur
durch ein einziges oder einige wenige milde Symptome äußert. Dies ist sicherlich ein Grund, warum
die Zöliakie bei vielen Kindern zwar von Geburt an besteht, aber erst im Schulalter erkannt wird.
Zöliakie bei Erwachsenen
Auch bei der Zöliakie im Erwachsenenalter vergehen oft Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird.
Das liegt daran, dass die ohnehin schon recht unspezifischen Krankheitszeichen bei Erwachsenen
weniger deutlich ausgeprägt und deshalb noch schwieriger einzuordnen sind als bei Kindern. Das
Vollbild der Zöliakie mit starkem Gewichtsverlust, Durchfällen und Fettstühlen ist eher die
Ausnahme. Sehr viel häufiger sind Verläufe mit uncharakteristischen Beschwerden wie Blähungen,
leichtem Gewichtsverlust, Müdigkeit und eingeschränkter Leistungsfähigkeit.
Aber auch Entzündungen im Mundraum, Zahnschmelzdefekten, Knochenschmerzen, Haarausfall,
Zyklusstörungen und Libidoproblemen kann eine Zöliakie zugrunde liegen. Eine 2011 veröffentlichte
Studie aus Holland weist darauf hin, dass bei betroffenen Frauen die Fruchtbarkeit – entgegen
früherer Annahmen – nicht vermindert ist. Bei Schwangeren mit unentdeckter oder unbehandelter
Zöliakie besteht allerdings ein erhöhtes Risiko dafür, dass ihre Kinder zu früh oder mit niedrigem
Geburtsgewicht auf die Welt kommen.
Was sind weitere mögliche Folgen der Erkrankung?
Die Zöliakie geht in 28–50% der Fälle mit einer Blutarmut (Anämie) einher. Dies ist wohl
hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass der erkrankte Darm zu wenig Eisen aufnimmt. Ein
weiterer Grund dürfte sein, dass durch die bei chronischen Entzündungen vorhandenen
proinflammatorischen Zytokine das Eisen regulierende Peptidhormon Hepcidin gebildet wird
(„Anämie der chronischen Erkrankung“); eventuell können durch die geschädigte Schleimhaut auch
kleinste Mengen Blut in den Darm verloren werden. Auch ein Mangel an Vitamin B12 und Folsäure
kann bei einzelnen Betroffenen zu einer Blutarmut beitragen.
Die unzureichende Aufnahme von Kalzium und Vitamin D setzt den Knochen zu. Ihre Dichte und
Festigkeit sind bei den meisten Menschen mit unbehandelter Erkrankung verringert, was bei Kindern
zu rachitischen Symptomen, bei Erwachsenen zu Osteopenie bzw. Osteoporose führen kann. Bei
einem kleinen Prozentsatz der Betroffenen kann darüber hinaus eine verstärkte Blutungsneigung
durch einen Mangel an Vitamin K bestehen. Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für Lymphome des Dünndarms – seltene, bösartige Tumoren.
Halten Menschen mit Zöliakie ihre Diät strikt ein, sinkt das erhöhte Risiko allerdings auf das Niveau
der Allgemeinbevölkerung. Bei lang andauernder, unbehandelter Erkrankung ist auch das Risiko für
Adenokarzinome des Darms erhöht. Geschwüre, Einstülpungen und Verengungen des Dünndarms
können seltene Folgen schwerer Verlaufsformen sein. Insbesondere bei Erwachsenen kann ein juckender Hautausschlag auftreten, meist an Ellbogen, Knien
und Gesäßbacken. Diese „Dermatitis herpetiformis“ ist manchmal erster Hinweis auf eine Zöliakie
und kann heutzutage mit einer Hautbiopsie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit diagnostiziert werden.
Fast immer geht die Dermatitis herpetiformis mit den für die Zöliakie typischen Veränderungen der
Dünndarmschleimhaut einher. Auch einige neurologische Erkrankungen wie Epilepsien oder
Neuropathien wurden schon mit der Zöliakie in Verbindung gebracht. Ob ein solcher Zusammenhang
tatsächlich existiert, wie stark er ist und wodurch er zustande kommt, ist zurzeit allerdings noch
Gegenstand von Diskussionen.
Diagnose Zöliakie
Am Anfang steht das ärztliche Gespräch mit Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese). Danach
wird der Arzt eine körperliche Untersuchung durchführen. Besteht der Verdacht auf eine Zöliakie,
wird zunächst Blut abgenommen und im Labor auf charakteristische Antikörper untersucht.
Darüber hinaus kann mithilfe einer Blutuntersuchung auch festgestellt werden, ob eine Anämie oder
ein Mangel an Vitaminen, Elektrolyten oder Eiweiß bzw. Veränderungen der Blutgerinnung, des
Eisen- und Knochenstoffwechsels oder allgemeine Hinweise auf eine Entzündung vorliegen.
Die früher oft bestimmten Anti-Gliadin-Antikörper sind (mit Ausnahme bei Kleinkindern bis 2 Jahre)
obsolet. Moderne Antikörper-Tests (Anti-tTG und Anti-DGP-Antikörper) sowie die schon lange
verwendeten endomysialen Antikörper (EMA) sind für das Vorliegen einer Zöliakie hochempfindlich
und hochspezifisch. Ein positives Ergebnis ist daher nahezu beweisend.
Allerdings schließen negative Antikörper-Tests die Erkrankung nicht hundertprozentig aus, z.B. in
sehr frühen Krankheitsstadien oder bei Vorhandensein eines sogenannten IgA-Mangels. Die Diagnose
oder der Ausschluss einer Zöliakie sollte daher niemals nur aufgrund eines Antikörper-Befundes
gestellt werden. Die allgemein als beweisend anerkannte Untersuchungsmethode ist die Dünndarmbiopsie. Dabei
werden im Rahmen einer Spiegelung von Magen und Zwölffingerdarm (Gastroduodenoskopie) kleine
Gewebeproben aus dem obersten Dünndarmabschnitt entnommen und anschließend unter dem
Mikroskop untersucht. Anhand der Veränderungen der Dünndarmzotten und -krypten sowie der Zahl der in die Darmzellen
eingewanderten Lymphozyten können dann verschiedene Stadien unterschieden und die endgültige
Diagnose gestellt werden. Jedoch kann auch hier in sehr seltenen Fällen ein falsch positives Ergebnis
vorliegen (z.B. bei der sogenannten Lambliasis). Ohne eindeutige medizinische Diagnose sollte nie mit einer glutenfreien Diät begonnen werden.
Denn die Diät ist nicht nur aufwändig und mit einer erhöhten finanziellen Belastung verbunden,
sondern kann die Diagnose einer etwaigen Zöliakie auch erschweren. Von einer Selbstdiagnose ist
daher dringend abzuraten. Auch Bioresonanz oder ähnliche Diagnosemethoden eignen sich nicht
zum Nachweis einer Zöliakie. Nach eigenmächtiger glutenfreier Diät oder in unklaren Fällen muss bei
negativer Blutuntersuchung oder negativer Dünndarmbiopsie eine neuerliche Glutenbelastung
durchgeführt werden. Dadurch steigen bei Personen mit Zöliakie die Antikörperspiegel an bzw.
werden Entzündungen der Darmschleimhaut ausgelöst, die sich dann nachweisen lassen. Bei allen
neu diagnostizierten Fällen sollte zudem eine Knochendichtemessung stattfinden, um krankhafte
Knochenveränderungen rechtzeitig erkennen und entsprechend behandeln zu können.