Kräftigungstraining und auch Krankengymnastik können nur dann ihre volle Wirksamkeit entfalten, wenn begleitend ein methodisch aufgebautes propriozeptives Training durchgeführt wird. Propriozeptive Rezeptoren sind Sinneszellen in Gelenkkapseln, Bänder, Sehnen und der Muskulatur, in denen der Druck bzw. die Gewebsspannung gemessen wird. Diese Werte werden dann im zentralen Nervensystem registriert und zu sinnvollen Anpassungsreaktionen der Muskulatur verarbeitet. Mit einem propriozeptiven Training verbessert man die Tiefensensibilität und die reflektorische Muskelaktivität, die der koordinativen Kontrolle des Körpers dienen. Gerade nach Operationen und längerfristiger Schonung funktionieren diese komplexen Rezeptorsysteme nur mangelhaft und müssen durch spezielle Übungsformen wieder reaktiviert werden.
Die Propriozeption dient dabei auch der Orientierung des Körpers im Raum durch Wahrnehmungen über Stellung und Bewegung unserer Gelenke. Die Gelenke werden einerseits passiv durch von außen wirkende Kräfte, andererseits auch aktiv, durch Muskelkontraktion in ihrer Position verändert.
Wesentliches Ziel des koordinativen Trainings ist eine Reduktion des Energieaufwandes während der muskulären Aktion, bei gleichbleibender oder höherer Effizienz. Es findet eine Ökonomisierung von Haltung und Bewegung statt. Durch das ständige Wiederholen eines bestimmten Haltungs- oder Bewegungsmusters erfolgt eine Anpassung des neuromuskulären Apparats (Nerv-Muskel-System). Diese Anpassung wird als Fazilitation oder Bahnung bezeichnet, die bei längerer Dauer zu einer Bewegungsautomatisierung führt. Koordinatives Training beinhaltet eine hohe Zahl an Bewegungswiederholungen mit geringem Krafteinsatz. Das Training soll in ermüdungsfreiem Zustand stattfinden. Bei einsetzender Ermüdung müssen entsprechend lange Pausen zur Erholung gemacht werden.
Es gibt verschiedene propriozeptive Rezeptoren, die Reize im Körperinneren erfassen. Diese Rezeptoren liegen in Gelenkkapseln, Sehnen, Bändern und in der Muskulatur. Sie signalisieren die Gelenkwinkelstellung, den herrschenden Druck im Gelenk, Amplitude und Geschwindigkeit von Gelenkbewegungen. oder auch beschleunigende und abbremsende Kräfte. In der Muskulatur und im Muskel-Sehnen-Übergang werden Länge und Längenänderung bzw. Spannung und Spannungsänderung in Muskulatur und Sehnen erfasst. Bei der Steuerung und Koordination von Bewegungen spielen diese Rezeptoren eine wichtige Rolle. Mit dem Begriff „Propriozeption“ wird die innere Wahrnehmung, d.h. die Wahrnehmung der Stellung, Bewegung, Kraft und Lage des Körpers bezeichnet. Stellvertretend werden auch die Begriffe Tiefensensibilität, kinästhetische Innenansicht oder Eigenwahrnehmung verwendet. Propriozeptives
Training ist ein Teilaspekt der Gesamtkoordination und bezieht sich auf die Verbesserung der Tiefensensibilität und der reflektorischen Muskelaktivität durch passives und aktives Bewegen, Wahrnehmung, Reproduzierung und Stabilisierung von Gelenkstellungen und Balanceübungen auf stabilen und labilen Unterstützungsflächen. Spezielles propriozeptives Training ist bei Defiziten in der Tiefensensibilität notwendig. Grund dafür können die Zerstörung von Propriozeptoren durch Verletzungen oder die Verminderung des Funktionszustandes der Propriozeptoren durch Immobilisation (Nichtgebrauch) oder Unterforderung sein.
Der Verlust der kinästhetischen Innenansicht führt zu unadäquaten Muskeleinsätzen und als weiterer Folge zu funktioneller Gelenkinstabilität. Gestörte reflektorische Gelenkstabilisation kann zu weiterer Traumatisierung und Gelenkdegeneration und damit auch zu Schmerzen führen. Die propriozeptive Aktivität des Fußes und der Halswirbelsäule hat große Bedeutung für die Haltung und Bewegung des Gesamtkörpers. Tiefensensibilität und reflektorische Stabilisationsfähigkeit können durch Training positiv beeinflusst werden und so die funktionelle Gelenkstabilität verbessern.
Eine funktionierende Propriozeption schafft die Voraussetzung für weiterführende Maßnahmen wie Krafttraining und das Üben funktioneller Bewegungsmuster. Abgesehen von Verletzungen weisen Erfahrungen aus der Behandlung von ungünstigen Haltungen und Bewegungen darauf hin, dass der mangelhafte Zugriff auf mögliche Bewegungs- und Haltungsqualitäten auf eine unzureichende Verwertbarkeit der an sich intakten und ausreichenden sensiblen Reize zurückzuführen ist. Daher muss verkümmerte oder durch Verletzung gestörte Propriozeption geschult werden, um dem Teilnehmer so zu ermöglichen, korrekte Haltung nachzuvollziehen. Die Rezeptoren des Fußes, insbesondere der Fußsohle, und die Rezeptoren im Bereich der oberen Halswirbelsäule (Nacken) haben eine Schlüsselrolle bei der Haltungskorrektur.
Bei der Wirbelsäule geht es in erster Linie darum, Schmerzfreiheit wieder herzustellen bzw. die Wirbelsäule in die Lage zu versetzen, Belastungen angemessen zu verarbeiten, um die Entstehung von chronischen Schmerzzuständen zu verhindern. Inhalte eines propriozeptiven Trainings im Bereich der Wirbelsäule sind Übungen auf festen und labilen Unterlagen. Die Schwierigkeit der Übungen kann durch Wahl der Ausgangsstellung (Vierfüßerstand, Sitz, Kniestand, einbeiniger Kniestand und Stand), Ausschalten des optischen Analysators oder Partnerwiderstand (langsam aufbauend und länger anhaltend bzw. schnell wechselnde kurze Widerstände) den Trainingsstufen entsprechend erhöht werden.